Unser Haus
auf dem Estedeich
im Ortskern
von Jork-Estebrügge ist Teil eines unter Denkmalschutz stehenden
Ensembles
alter Häuser, der so genannten Bürgerei.
Es handelt sich um die ehemalige
Bäckerei
Wriede, deren letzter Besitzer sie aus Altersgründen im Jahre 1977
an seinen Nachfolger aus Buxtehude verkaufte. Von ihm haben meine Frau
und ich zwei Jahre später das Haus erworben, nachdem zuvor die
Bäckerei
eingestellt worden war.
Mit seiner detailreichen
Giebelfront
aus rotem Ziegelmauerwerk, noch originalen Sprossenfenstern, die in den
hier üblichen Farben grün und weiß gestrichen sind, ist
es sicher ortsbildprägend und eines der schönsten Häuser
von Estebrügge.
Im Oberlicht der gleichfalls
unter
Denkmalschutz stehenden Eingangstür steht der Name "Wriede" in
Verbindung
mit einer Krone und einer Brezel.
Das Haus besitzt ein Mansarddach
und
ermöglicht so ein zusätzliches, vollwertiges Stockwerk mit
leicht
schrägen Seitenwänden, und mit nur geringfügig
verminderter
Grundfläche gegenüber dem Erdgeschoss. Diese preiswerte und
auch
praktische Bauweise ist nach der neuen Gestaltungssatzung
seltsamerweise
nicht mehr erlaubt, obwohl viele alte Häuser in Jork und Umgebung
diese Dachform noch aufweisen. Die Seitenwände und der
rückwärtige
Giebel sind in ortsüblicher Fachwerkbauweise ausgeführt.
Ein unmittelbar an das Haupthaus
grenzender
Anbau zur Este hin diente über viele Jahre zur Lagerung von Torf
als
Brennmaterial für den Backofen. Auch er besitzt ein Mansarddach
und
wirkt dadurch wie eine verkleinerte Kopie des Haupthauses. Insgesamt
ergeben
sich ca. 400 m² Wohn- und Nutzfläche; von den beiden nicht
ausgebauten
Dachböden einmal abgesehen. Hinzu kommt ein kleiner Garten, der
durch
seine Lage direkt am Fluß eine besondere Atmosphäre besitzt.
Bauzeichnungen oder Baupläne
liegen
leider nicht mehr vor. Es gibt nur noch eine handgefertigte alte
Flurkarte
bzw. einen Kartenauszug aus den Jahren 1909/1884.
Die klassizistische,
zweiflügelige
Haustür wird dem 18. Jahrhundert zugeordnet, das zugehörige
Oberlicht
dem Jahre 1818. Das Haus steht aber schon viel länger auf dem
Deich
und hatte früher vermutlich auch zur Straße hin einen
Fachwerkgiebel.
Bedingt durch seine Ausrichtung nach Westen, und dadurch
ungünstigen
Witterungseinflüssen extrem ausgesetzt, hat man wohl später
diese
Bauweise aufgegeben.
Mit dem Erwerb des Hauses im
Jahre
1979 kamen aber auch viele Probleme und unvorhergesehene
Schwierigkeiten
auf die neuen Besitzer zu. In Bezug auf die dringend erforderliche
Renovierung
waren wir damals auch noch sehr unerfahren.
Alles fing damit an, dass das
zuständige
Finanzamt eine erhebliche Steuerzahlung forderte, da es nicht von dem
Kauf
eines Wohngebäudes ausging, sondern von einem damit verbundenen
Gewerbebetrieb.
Erst nach nervenaufreibenden Tagen und einem aufwendigen Schriftverkehr
blieb uns eine Zwangspfändung erspart.
Beinahe jeden Tag gab es nun
böse
Überraschungen für uns. Zum Beispiel waren Teile des
Balkenwerks
wurmstichig oder verrottet, da in den vergangenen Jahren so gut wie
nichts
zur Werterhaltung unternommen worden war. Die durch hohe
Wasserstände
der Este durchfeuchteten Wände, vor allem die Fundamente, konnten
nie richtig austrocknen. Hinzu kamen Wasserschäden, die von einem
undichten Dach aus früheren Jahren herrührten und nie
beseitigt
wurden. Die häufig feuchtwarme Luft der Bäckerei schuf
außerdem
ideale Bedingungen für eine üppige Vermehrung der
verschiedensten
Schädlinge. Hausschwamm hatte sich allerdings noch nicht
ausgebreitet,
dafür aber eine unglaubliche Menge von Kakerlaken, die wir noch
nach
Jahren gelegentlich in irgendwelchen Winkeln und Ritzen entdeckten!
Alles
war ungepflegt und teilweise in einem jammervollen Zustand. Vieles war
einfach mit Farbe zugeschmiert worden nach dem Motto: "Außen hui,
innen pfui!"
Außerdem hatte der
Vorbesitzer
damit begonnen, teilweise die Fenster - auch zur Straße hin! -
durch
Glasbausteine zu ersetzen und einige Innenwände im Verlauf einer
wahren
Verkleidungsorgie mit Rigipsplatten zu "verschönern". Zum Beispiel
entdeckten wir hinter einer solchen Platte eine originale Alkovenwand
im
Empirestil: mit kleinen Fenstern und einer zum Teil verglasten,
zweiflügeligen
Innentür, sowie einer zusätzlichen Schranktür! Leider
hatte
man die überstehenden Verzierungen einfach abgesägt, um so
die
Rigipswand besser anbringen zu können. Im Altonaer Museum in
Hamburg
befindet sich übrigens eine zweite Tür!
Natürlich
hatten wir vor
dem Hauskauf
das relativ positiv verfasste Gutachten eines dieser üblichen
Sachverständigen
gelesen. Es war aber auch klar, dass ein gehöriges Stück
Arbeit,
vor allem auch Ausdauer von uns verlangt werden würden. Ein
günstiger
Kaufpreis und die Ahnung, dass sich die Mühe lohnen würde,
gaben
dann endgültig den Ausschlag zum Kauf. Es galt, den in Resten
immer
noch vorhandenen Charme dieses Hauses und seine ureigene
Atmosphäre
möglichst bald, aber auch sehr behutsam im wahrsten Sinn des
Wortes
wieder zu beleben!
In dieser ersten Zeit waren wir
allerdings
oft verzweifelt und mutlos. Wir hatten das Gefühl, uns mit dem
Kauf
des Hauses übernommen zu haben. Es erschien uns als eine zu
große
Aufgabe. Hin und wieder wurde sogar schon davon gesprochen, alles
aufzugeben.
Unsere finanziellen Mittel waren erschöpft, und über die doch
jetzt so dringend nötigen überdurchschnittlich großen
handwerklichen
Fähigkeiten verfügten wir beide auch nicht.
Eine alte chinesische Weisheit
lautet
aber:
"Auch ein großes Werk
beginnt
immer mit dem ersten Schritt!"
Diese Erkenntnis half uns
über
die kritische Zeit hinweg und hat sich seither fest eingeprägt,
weil
sie in unserer Situation den Schlüssel zum Erfolg lieferte.
Wir konnten, vor allem aus
finanziellen
Gründen, nur langsam vorgehen und merkten bald, dass dieser
anfängliche
Nachteil sich im Laufe der Zeit in einen großen Vorteil
verwandelte.
Durch eine in solchen Fällen leider oft übliche, mehr oder
weniger
radikale, sogenannte "Entkernung" hätten wir unserem Haus seinen
ureigenen
Charakter genommen und es wäre nur noch eine schöne Fassade
übrig
geblieben!
So wurde zum Beispiel die durch
das
frühere Gewerbe bestimmte Trennung zwischen Wohn- und
Arbeitsbereich
beibehalten. Die ehemalige Backstube wird heute nach ihrer Renovierung
- der unschöne moderne Dampfbackofen wurde abgerissen - als
Atelier
und Hausarbeitsraum genutzt. Ein uriger alter Kaminofen aus einer
Schiffswerft
sorgt seitdem für wohlige Wärme. Vor allem, wenn an dem
langen
Holztisch unsere Gäste es sich so richtig gemütlich machen
wollen.
Auch die ehemalige kleine
Küche
im Souterrain wurde wieder zu einem Mittelpunkt des häuslichen
Lebens
hergerichtet. Ein alter, aber noch funktionstüchtiger eiserner
Herd
mit drei Kochstellen fand hier wieder seinen angestammten Platz. Der
praktische
und originale Fußboden aus Terrazzo-Fliesen, mit Holz verkleidete
Wände und alte Deckenbalken schaffen als unverzichtbare Zutaten
eine
gemütliche Atmosphäre. Zwei kleine Sprossenfenster lassen
allerdings
nicht allzu viel an Tageslicht herein. Inzwischen haben wir aber aus
rein praktischen Gründen die
ehemalige
Backstube als Wohnküche eingerichtet.
Auch
Außenarbeiten gab
und gibt
es in Hülle und Fülle. Da mussten zum Beispiel fast alle
Fenster
neu gekittet und gestrichen, die Türen und Wände saniert und
das Fachwerk ausgebessert werden. Und die Arbeit hört niemals auf!
Sie hat sich aber - so denke ich - für uns gelohnt und sie wird
hoffentlich
auch künftig in unserem Sinne von späteren Generationen
weiter
fortgesetzt werden.
Hierbei soll immer auch ein anderer
schöner
Spruch gelten, der für das alte Haus wie auf den Leib geschneidert
passt, und den ich erst im Laufe der Zeit so richtig verstanden habe: "En
beten schev hat Gott lev!"
Fred
Lang |